Burma, Thailand: Mit Charme und Humor für den Frieden
Gepostet am 30. Apr. 2015 in Asien, Projekte, Schule | Keine Kommentare„Ohne Träume und Visionen sind wir nur Werkzeuge der Regierenden und im Falle Burmas, der Militärjunta“, sagte Gabriele Schaumberger, Gründerin der Burmahilfe, zu einer Gruppe von Flüchtlingen, die an einer Schulung teilnahm. Es ist schwierig, den jungen Menschen klarzumachen, wie wichtig kritisches Denken ist, wie wichtig Träume und Visionen sind, um der grausamen Wirklichkeit eine Alternative entgegenzusetzen. Die meisten von ihnen kennen nur das Leben im Flüchtlingslager und davor die Überfälle der Militärs, die ihre Dörfer niederbrannten, Männer verschleppten und Frauen vergewaltigten. Damals konnte eine kritische Bemerkung die ganze Familie ins Gefängnis bringen. Das ist über 20 Jahre her, seitdem leben 20.000 Karenni, eine von 135 Ethnien in Burma, in Lagern im Exil an Thailands Grenze.
Im Wald versteckt: Schulen, Krankenstationen
Das Leben in den Flüchtlingslagern wurde im Lauf der Zeit erträglicher, ein Schulsystem wurde eingeführt, Kliniken und Kindergärten errichtet. Bei Hochzeiten wird gefeiert, Begräbnis-Zeremonien werden traditionell gehalten. Die Karenni stellen selbst das Personal für die gesamte Infrastruktur. Durch ein Umsiedlungsprogramm und durch Abwanderung (Gutausgebildete fanden Asyl in Europa und Amerika) ist aber fast die komplette intellektuelle Elite der sämtlichen infrastrukturellen Einrichtungen verschwunden. Nicht nur das Schulwesen droht zu kollabieren. Bis 2018 sollen sämtliche Lager an der Grenze aufgelöst werden. Die internationale Staatengemeinschaft stellt viel Geld zur Heimkehr der Vertriebenen zur Verfügung. Angesichts der massiven Landenteignungen durch die burmesische Regierung sowie aufgrund der nach wie vor großflächig verminten Gebiete ist das ein fragwürdiges Unterfangen. Während die Flüchtlinge in den Camps eine Grundsicherung genießen, sieht es für die in entlegenen ländlichen Gebieten lebenden Minderheiten Burmas viel schlechter aus. Sie waren diversesten Formen von Ausbeutung ausgeliefert, und bis vor einigen Jahren gab es für sie keine Möglichkeit, Rat oder Hilfe zu finden. Die Zahl der intern Vertriebenen wird in Burma auf bis zu zwei Millionen Menschen geschätzt.
1989 gingen erste Teams von zu Sanitätern ausgebildeten Flüchtlingen zurück in die Kriegsgebiete, um die Zurückgebliebenen medizinisch zu versorgen. In stiller Zusammenarbeit mit lokalen Strukturen konnte über die Jahre ein größeres Gebiet abgedeckt werden. Kirchen stellten Räumlichkeiten zur Verfügung, Schulen und andere Gemeinschaftsgebäude dienen noch heute bei Bedarf als temporäre Kliniken.
2009 und 2010 organisierte die Burmahilfe ein dreimonatiges Training zur Ausbildung von Personal, welches so dringend gebraucht wird, um all dies, was in den vergangenen 20 Jahren mühsam aufgebaut wurde, am Leben zu erhalten und auszubauen. So wurde es möglich die in sechs Einsatzgebiete unterteilten Gebiete kontinuierlich aus dem Exil durch 20 rotierende Teams notzuversorgen. 60.000 Menschen erhielten Zugang zu medizinischer Notversorgung. Die erste stationäre „Mobile Klinik“ wurde 2005 mit privaten Mitteln erbaut. Bis zur Waffenruhe 2012 waren die Aktivitäten der Medics von Truppenbewegungen des Militärs sowie der generellen Sicherheitssituation abhängig. Oft mussten die bis dahin errichteten Standorte beim Auftauchen burmesischer Truppen evakuiert werden. Bis 2012 galten alle Mitglieder der Rucksackteams als Rebellen, und nicht wenige haben bei Einsätzen ihr Leben verloren. Alle Aktivitäten wurden bis 2012 aus dem Exil in Thailand koordiniert und organisiert.
Das Projektteam vor Ort
Seit Sommer 2013 wurde fast die gesamte Administration ins Landesinnere, in die Provinz Kayah State, verlegt. Man mietete in der Kleinstadt Demawsoe ein einfaches Haus. Medikamente werden von Thailand direkt dorthin transportiert und dann weiterverteilt. Ebenso kehren die Medics aus dem Feld nach ihren Einsätzen hierher zurück. Das Haus dient auch als Büro, Ort für Trainings und ist Koordinationsstelle für alle Teams. Viele Sanitäter verbringen die Zeit zwischen den Einsätzen in diesem Haus. Es gibt Strom, Wasser aus dem Ziehbrunnen, aber noch kein Internet. Von dort starten die Teams auch ihre Einsätze. Soweit vorhanden verwendet man öffentliche Verkehrsmittel, oft gibt es die Möglichkeit mitzufahren, doch einige Standorte sind nach wie vor nur zu Fuß erreichbar. Alle Kliniken liegen in Gebieten weit ab von jeglicher Möglichkeit zu medizinischer Versorgung und wurden alle auf Bitte der Bevölkerung sowie mit deren Unterstützung errichtet und erhalten.
Nach 20 Jahren arbeiten 120 Mitarbeiter im Feld als Medics (24 Rucksacksanitäter Teams und 10 Mobile Kliniken) sowie in den administrativen Strukturen (Datenerhebung, Koordination, Berichtwesen) und erhalten regelmäßige Trainings zu relevanten Themen. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter sind Frauen, auch in leitenden Positionen. Mangels Finanzierung können einige Gebiete nicht voll versorgt werden, hauptsächlich fehlen Medikamente, sowie Geld für Reisekosten.
Die zehn inzwischen fixen Klinikstandorte wurden bzw. werden durch Burmahilfe, Caritas, Dreikönigsaktion und Gesellschaft für bedrohte Völker-Österreich finanziert, die 24 rotierenden Teams über das BRC (Burma Relief Centre), welches von Thailand aus agiert und vorwiegend aus Kanada Gelder erhält.
Einschränkung durch die Regierung
Wegen Reiseverboten außerhalb der Provinzhauptstadt Loikaw ist es für INGOs (Internationale Nicht-Regierungsorganisationen) unmöglich in ländlichen Gebieten zu arbeiten. Jede in Myanmar mit Genehmigung der Regierung agierende INGO ist verpflichtet, ein „Memorandum of Understanding” (MOU) zu unterzeichnen, aufgrund dessen sie sich verpflichtet, allein nach den Richtlinien und durch die Strukturen der Regierung zu arbeiten, weshalb es oft nicht möglich ist, bereits bewilligte Projekte zu implementieren. „Ich verstehe nicht, warum die Regierung immer noch INGOs nach Loikaw schickt. Unsere Kapazitäten hier sind längst überschritten“, kritisierte der Leiter der Caritas Loikaw bei einem Treffen im März 2015.
Projektbetreuung Kayah State 2015
Seit 2013 ist Kayah State (oft auch Karenni State genannt) für BesucherInnen geöffnet. Die Rebellen aus dem Exil erhielten – nach der Unterzeichnung einer Waffenruhe – Land und Privilegien von der Regierung. Als deren Gäste und mit ihrer Hilfe sind Einblicke in das Leben abseits der „Öffnung“ ernüchternd. Die ehemaligen Kriegsgebiete sind immer noch Sperrzonen. Für die ansässige Bevölkerung hat sich nichts geändert.
Nach einer zehnstündigen Fahrt über Pisten, denen unser etwas strapaziertes Fahrzeug kaum standhielt, erreichen wir (Gabrielle Schaumberger und ihr Lebensgefährte Heinz) eine Klinik. Es ist bereits dunkel als die Medics die mitgebrachten Medikamente versorgen und sich über etwas frisches Essen freuen. In dem offenen Bambushaus herrscht reger Betrieb – Medics, Patienten sowie Freunde freuen sich über den unerwarteten Besuch. Wir sind die ersten „Fremden“ – seit 1990. Wie in den anderen Kliniken ist eine Frau die Verantwortliche: „Ordinationszeiten gibt es nicht – versorgt wird bei Bedarf. Letzte Woche kam eine Frau mit ihrem Baby um ein Uhr nachts, das Fieber war sehr hoch. Jetzt ist die Kleine wieder gesund.“ Abgesehen von Notversorgung kann man in diesen Gesundheitsposten komplizierte Krankheiten weder diagnostizieren noch behandeln.
Am nächsten Morgen sitzt das Klinikteam zusammen. Daten werden ausgetauscht, der Stand an Medikamenten kontrolliert, Löhne bezahlt, Trainings besprochen sowie Neues von der Basis. Telekommunikation gibt es hier nicht. Die politische Situation scheint stabil, dem Frieden traut man trotzdem noch nicht. Zu viel ist in diesen Dörfern noch vor wenigen Jahren passiert. Gemeinsam mit dem Pfarrer machen wir einen Spaziergang. Auf einem offenen Feld steht die Holzkirche, am anderen Ende die Schule. Ja, es gibt Unterricht – in Burmesisch. Kayaw ist die im Dorf ansässige Ethnie, von denen kaum einer Burmesisch spricht.
Die Katholische Kirche engagiert sich seit Jahrzehnten für eine Teilnahme der Minderheiten am Bildungsprozess, indem sie Schülerheime führt und Nachhilfe in Burmesisch gibt. Nur so ist es für die seit 3.000 Jahren in diesen Gebieten lebenden Ethnien möglich, ein Maß an Bildung zu erhalten, das ihnen eine Mitsprache bei der politischen Gestaltung ihres Landes ermöglicht. Wir übernachten in einer Missionsstation ein paar Kilometer weiter. Vater Francis, ein Indigener vom Volk der Kayan, ist unser Reiseführer durch die vielen Gemeinden. Besucht werden vor allem Bildungseinrichtungen, die vom Personal – ausschließlich ansässige Bevölkerung – mit viel Mut und persönlicher Aufopferung seit Jahrzehnten am Leben erhalten werden. Die freundlichen Frauen im Habit sowie die Priester haben sehr wenig gemeinsam mit den uns aus europäischen Kreisen bekannten Geistlichen. Sie leisteten in Karenni State auch zu Kriegszeiten Hilfe. Mit einer guten Portion an Humor und Charme vollbringen diese ungewöhnlichen Menschen hier kleine Wunder. Gemeinsam mit Father Francis wollen wir Unterstützung für diese bereits gut laufenden Projekte finden. Nach Kriegsende kämpfen alle mit Finanzierungsnöten, da viele Geldströme nun über die Regierung umgeleitet werden, und die Basis nicht mehr erreichen. So kann man eine „Verschlechterung“ der Situation in einigen Bereichen belegen. Auch die Basisgesundheitsversorgung in den Mobilen Kliniken ist nur möglich, weil das Projekt weiter grenzübergreifend finanziert wird. Auf Landkarten der Burmesischen Regierung existieren viele der Dörfer nicht, weshalb sie auch nicht offiziell versorgt werden können.
Zwei Monate verbrachten wir 2015 in Loikaw, der Hauptstadt von Karenni State. Hier gibt es inzwischen Strom und ein etwas launisches Internet: während der Studentenunruhen im Februar wurden sämtliche Sender abgeschaltet, es gab auch keinen Handyempfang. Abgesehen von chinesischen Geschäftsleuten und NGO Personal fährt kaum jemand nach Loikaw. Dort wandern immer noch Kühe und Pferde grasend durchs Stadtzentrum, der Fluss ist auch Badezimmer der ärmeren Bevölkerung – und gleichzeitig Mülldeponie. Nebst nicht existenter Müllentsorgung ist die Liste der alten und neuen Probleme ellenlang. Bei meinen jährlichen Besuchen unterrichte ich auch, meist gemeinsam in einem Team von Karenni-TrainerInnen, die ihr Wissen an Büromanagement, Berichtwesen und Computerkenntnissen den zukünftigen KollegInnen weitergeben. Der Balkon des Hauses, in dem wir wohnen, ist ein beliebter Treffpunkt, Vernetzungsort und Geburtsstätte neuer nachhaltiger Projekte, die die Zukunft Burmas beeinflussen werden. Hier erfahren wir über die Hintergründe der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Rebellen, diskutieren über die veränderten Bedingungen seit der Öffnung und wie man die Basis weiterhin stärkt. Hier wird vernetzt, werden Welten überbrückt und ein Meilenstein für die Zukunft des Landes gelegt. Der Altbischof Sotero gibt uns am Ende unseres Besuches den folgenden Rat mit: „Wer nichts riskiert, erreicht auch nichts.“
Die Philosophie der Gründerin der Burmahilfe
Bildung mit Respekt vor der kulturellen Identität als nachhaltiger Weg zu Friede und Demokratie – das ist die Vision des Vereins. Die im Laufe der vergangenen 20 Jahre erworbenen Einsichten in die komplexen Probleme Burmas und seiner Minderheiten sowie der persönliche Kontakt zu den aktivsten Mitgliedern der Minderheiten ermöglichte mit geringstem finanziellem Aufwand ein Maximum an Unterstützung. Wir lernen wohl mehr von diesen wunderbaren alten Kulturen, als wir ihnen je vermitteln können. Ich wünsche mir, dass auch andere Hilfsorganisationen den Wert direkter Zusammenarbeit mit den Betroffenen als einzig wirklich nachhaltige und sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit erkennen.
1996 führte mich der Zufall in ein Flüchtlingslager an der Thailand-Burma-Grenze. Nach einem Monat Zusammenleben mit der Minderheit der Karenni, begann eine Freundschaft mit vielen dort ansässigen Aktivisten. Nach weiteren Besuchen und immer intensiverer Beschäftigung vor allem mit den politischen Hintergründen dieser Tragödie, gründete ich 2006 den Verein Burmahilfe. Als Quereinsteigerin in der Entwicklungszusammenarbeit lern(t)e ich von den Führungskräften der im Exil lebenden Ethnien, ein (leider) noch immer unüblicher Zugang zum „Helfen“.
„Ohne Vertrauen, keine Zusammenarbeit“ war meine erste Lektion, die sich als sehr fruchtbar erwiesen hat. Es erfordert Zeit, um Menschen und deren kulturellen Hintergrund kennenzulernen und zu respektieren. Ich versuche von den Flüchtlingen deren Bedürfnisse zu erfahren und gemeinsam Hilfe dorthin zu leiten, wo sie am nötigsten ist. Die Projekte wurden meist von den Flüchtlingen selbst initiiert, und unsere Position als Verein ist die des Vermittlers: Wir kümmern uns um die Finanzierung und die damit verbunden bürokratischen Abläufen. Gabriele Schaumberger
Interview
„Eine handverlesene Clique von Generälen hat ihre Uniform gegen einen Anzug eingetauscht.“
Hans Bogenreiter (HB): Liebe Gabriele, Du bist erst kürzlich aus Burma nach Österreich zurückgekehrt. Wie schätzt Du die derzeitige Lage dort ein?
Gabriele Schaumberger (GS): Landesweit nimmt die Zahl an Protesten für eine Änderung der Verfassung, Liberalisierung des Bildungswesen, Verbesserung von Arbeitsbedingungen, fairen Energiepreisen und gegen Landenteignungen stetig zu, ebenso die Anzahl der bewaffneten Konflikte mit den Minderheiten des Landes. Der Umgang mit dieser „Revolution von unten“ lässt erste Lücken in der demokratischen Fassade erkennen – drakonische Strafen, blutige Niederschlagungen von friedlichen Demonstrationen und eine zunehmende Zahl an Binnenflüchtlingen sind die Antwort der Regierung auf die Forderungen der Bevölkerung. Burma befindet sich in einem kritischen Moment und auch internationale Medien berichten über diese Schattenseiten des „demokratischen Wandels“.
HB: Im Westen wird ja der demokratische Wandel in Burma allgemein sehr positiv aufgenommen. Inwieweit haben die Militärs trotz vordergründiger Abgabe der Macht im Hintergrund die Fäden doch noch in der Hand?
GS: Dazu möchte ich den Burma-Experten Bertil Lintner zitieren: „Bei aufmerksamem Lesen der 2008 verabschiedeten Verfassung wird klar, dass Burma in absehbarer Zeit keine echte Demokratie werden kann, sondern ein dünn verkleideter autoritärer Staat, mit dem die USA und der Westen zynisch leben können, um so dem Einfluss Chinas entgegenzuwirken.” Die Verfassung von 2008 festigt den Status der Militärs als oberste Instanz, die in jedem Fall das letzte Wort hat. Auf dieser Verfassung gründet die „Demokratie“. Präsident Thein Sein hat zwar bereits mehrmals einen landesweiten Waffenstillstand ausgerufen, der aber von der Armee ignoriert wurde. Das derzeitige Regime ist eine vom ehemaligen Diktator Than Shwe (inzwischen im Ruhestand) handverlesene Clique von Generälen, die ihre Uniform gegen einen Anzug eintauschten.
HB: Einige Menschenrechtsgruppierungen bezeichneten 2013 die Aufhebung der Sanktionen der EU gegen Burma als verfrüht und verwiesen auf anhaltende Repressionen hin. Wie schätzt Du die Lage – auch in Bezug auf die Hilfsleistungen der EU – mittlerweile ein?
GS: Für die Bevölkerung in den entlegenen Landesteilen hat sich kaum etwas geändert. Der Dialog zwischen Rebellengruppen und Regierung beschränkt sich auf einen landesweiten Waffenstillstand. Politisches Mitspracherecht wird den Minderheiten nach wie vor vorenthalten. Daran kann und will auch die EU nichts ändern. Der Ressourcenreichtum Burmas bringt vielen internationalen Playern große (finanzielle) Gewinne, die im Lande dringend benötigt würden.
HB: Welche Wertschätzung erfährt eigentlich Aung San Suu Kyi, die nun ins politische Leben zurückgekehrt ist, bei den Flüchtlingen? Und hat sich die Nobelpreisträgerin bzw. ihre Partei zur Minderheitenproblematik geäußert?
GS: Die Friedensnobelpreisträgerin hat seit ihrer Freilassung 2011 unzählige Preise und Auszeichnungen im Ausland erhalten und wird von westlichen Regierungsvertretern geschätzt und gelobt. Im Land erfährt sie immer mehr Kritik, da es ihr offenbar an einem Grundverständnis der Situation an der Basis mangelt. Weder äußerte sie sich zu den massiven Menschenrechtsverletzungen in den Minderheitengebieten, noch bezog sie Stellung für die vielen enteigneten Bauern und hat sich oft bei Protesten auf die Seite der Regierung gestellt. Sie hat viel von ihrer Popularität eingebüßt, die Enttäuschung in der Bevölkerung ist groß. Ob ihre Partei an den Wahlen teilnehmen wird, ist immer noch nicht klar. Das Amt der Präsidentin könnte sie auch bei einem Wahlsieg wegen der Verfassung von 2008 nicht antreten.
HB: Besteht trotz allem Hoffnung auf Frieden?
GS: Der demokratische Prozess ist irreversibel. Es gibt heute Internet, die wirtschaftliche Öffnung gegen den Westen hat bereits viele Veränderungen gebracht, wenn auch nicht nur positive. Das Gesamtklima im Land ist entspannter als noch vor wenigen Jahren. Deshalb wagen sich erstmals mutige Bürger für ihre Rechte einzutreten. All dies sind Zeichen für einen demokratischen Wandel, der in den Köpfen der Menschen begonnen hat. Trotz der kritischen Phase und einiger Rückschläge wird sich Burma weiter entwickeln. In vielen Städten gibt es heute „normales“ Leben, in den Randgebieten wird gekämpft. Die Menschen im Land sind kriegsmüde, alle wollen Frieden – aber nicht um jeden Preis. Deshalb wird es noch einige Jahre dauern, bis sich ein halbwegs stabiles System etabliert hat, das sich an die neuen „demokratischen“ Spielregeln hält.
HB: Bezüglich der Lage der Minderheiten gibt es ja Stimmen, die keine Verbesserung sehen bzw. sogar eine Verschlechterung. Was hast Du vor Ort in Deinem Einsatzgebiet erkennen können und was für Informationen gibt es über die Minderheitengebiete im Land selbst?
GS: Die großen Krisenherde Burmas liegen in den Minderheitengebieten, die Sperrgebiet sind: weder ein Tourist noch eine NGO hat dort Zugang. Besonders diskriminiert und auch verfolgt werden die moslemischen Rohingya, denen im vorwiegend buddhistischen Burma als “Staatenlose” fundamentale Rechte verweigert werden. Sie stellen auch die Mehrheit der rund 8.000 Flüchtlinge, die Mitte Mai 2015 im Indischen Ozean in einfachen Booten auf offener See bleiben mussten, nachdem sie an den Küsten Indonesiens, Thailands und Malaysias abgewiesen wurden. Nach zähen Verhandlungen durften die Boote dann doch “vorübergehend” anlegen, aber die Flüchtlinge sollen später in ihre “Heimat” zurück geschafft werden, wobei sie dort keine Staatsbürgerschaft besitzen.
Über viele Jahre ist in den Flüchtlingscamps im Exil ein Netzwerk von kleinen Organisationen entstanden. Über die Grenzen Thailands hinaus bringen Aktivisten medizinische Versorgung, Schulmaterial, Kleider, Nahrung. Viele dieser Projekte stehen vor einem Ende. Es gibt – trotz verhandelter Waffenstillstände – unzählige Kämpfe, weiter werden Dörfer geplündert, und die Liste der Menschenrechtsverletzungen ist nicht kürzer geworden. Vermehrt werden Truppen in den ethnischen Gebieten und an den Grenzen stationiert, meist um Megaprojekte zu schützen. Die Lebensbedingungen dort waren noch nie so miserabel. Die politischen Vertreter, welche die Rechte für die Minderheiten ausverhandeln, hoffen trotzdem auf eine friedliche und nachhaltige Entwicklung ihrer Gemeinschaften, ohne dabei die Identität zu verlieren. Es gibt viele Initiativen die Traditionen und das kulturelle Leben reaktivieren.
HB: Jahrelang hast Du Projekte nahe den Flüchtlingslagern in Thailand koordiniert, nun hat sich die Arbeit nach Burma selbst verlagert, wie wird diese große Umstellung bewältigt?
GS: Unser Hauptprojekt der Gesundheitsversorgung in den Krisengebieten des Landes wird nach wie vor über Thailand finanziert. Als neuen Partner für Unterstützung von Bildungsprojekten im Landesinneren konnten wir auf der letzten Reise die Katholische Kirche gewinnen.
HB: Jahrelanges Leben auf der Flucht vor den burmesischen Truppen, im Dschungel und ohne Wasser und Nahrung zerrt an den Nerven – für uns Wohlstandsbürger wohl kaum auszuhalten – wie verkraften es die Menschen dort? Welche Hoffnungen haben sie kurzfristig und langfristig? Und inwieweit spielen Musik, Sport oder auch Drogen als Ablenkung eine Rolle?
GS: Sie kennen nichts Anderes. Im Moment beginnt man sich ein wenig zu entspannen. Dörfer sind wieder dauerhaft bewohnt, Felder werden bestellt, es gibt vereinzelt Schulen. Es denkt kaum einer weiter als bis zum nächsten Tag. Das macht das Arbeiten mit ihnen oft schwierig – unser europäisches Zeiterleben ist dem ihren sehr entgegengesetzt. In allen von uns besuchten Schulen ist Singen ein fester Bestandteil im Alltag. Wo es eine Gitarre gibt, wird gesungen. Musik hat eine wichtige Funktion, um wieder Kraft zu tanken und sich vieles von der Seele zu singen.
Selbstverständlich gibt es im letzten Eck des Dschungels noch ein Fußballfeld. Auch Caneball (Anm.: traditionelle Kombination von Ballsport und Tanz, auch Chinlone genannt) spielen die jungen Burschen. Mädchen und Frauen sind daran aber nicht beteiligt.
Seit der Öffnung Burmas wurde ein massiver Anstieg von Drogenkonsum verzeichnet. Yaba, eine Labordroge, überschwemmt Schulen, ist billig und leichter zu finden als guter Wein. Mütter verzweifeln an ihren Söhnen und versuchen diese bei den Rebellenarmeen unterzubringen, da diese den Ruf haben drogenfrei zu sein. Es ist nicht zu übersehen, dass die Jugend vor allem im Moment nur leben will. Viele glauben auch nicht an eine bessere Zukunft. Immer mehr junge Menschen sterben durch billigen Alkoholkonsum.
HB: Abschließend noch etwas persönliches. Du hast das Studium der Ethnologie rasch hinter dir gelassen, um gleich mit „solidarischer Feldforschung“ zu beginnen. Welche Beweggründe standen da dahinter?
GS: Andere, alternative Lebenskonzepte hatten mich von Kindheit an fasziniert. Ich empfand es dann als etwas absurd, darüber nur zu lesen und Dokumentarfilme zu sehen – ich wollte verstehen, spüren und reiste in Länder, wo noch indigene Völker leben.
HB: Ist die Affinität zu den burmesischen Ethnien zufällig entstanden oder gab es da ein Schlüsselerlebnis?
GS: Der erste Aufenthalt im Karenni Camp 1996 ist mir „zugefallen“. Ich hab mich dort sofort wohl gefühlt. Ich hatte nicht erwartet, noch eine so friedliche Kultur anzutreffen. Als mir dann klar wurde, dass es sich um dieselben Ethnien handelte wie jene aus einer Vorlesung, die ich zehn Jahre zuvor an der Wiener Uni besucht hatte, war der „Zufall“ perfekt.
HB: Im Sommer arbeitest Du ja auf einer Berghütte in der Schweiz, auf über 2.500 Meter. Inwieweit gelingt es Dir dabei die „solidarischen Abenteuer“ auszublenden, die ja einer Hüttengaudi sehr konträr gegenüber stehen?
GS: Gar nicht. Wir haben auf der Hütte, die mein Lebensgefährte Heinz gepachtet hat, einen Infostand eingerichtet und verkaufen kleine Souvenirs an die Hüttengäste. Mit dem Erlös können wir dann spontan Direkthilfe leisten. Gerne würde ich von meinem Engagement leben können, was sich aber finanziell nicht ausgeht. Oft muss ich mich neben der Arbeit in der Hütte (Anm.: 80 Schlafplätze) um dringende Aufgaben in der Projektarbeit kümmern, das geht oft an meine Grenzen.
Bildlegende (von oben nach unten): 1. Behandlung in einer mobilen Klinik, 2014, 2. Karenni Kinder im Dschungel versteckt, 2009, 3. Schülerheim in Loikaw, Karenni State, 2015, 4. Mobile Klinik in Karenni State, Mutter und Kind Versorgung, Thiwakaw Village, März 2015, 5. Dorfplatz mit katholischer Kirche, ehemaliges Kriegsgebiet, Thiwakaw, März 2015, 6. Besuch in den Dörfern, Gabriele Schaumberger in der Bildmitte (Thiwakaw, 2015 ), 7. In Burma kein ungewöhnliches Zusammentreffen, Karenni State, 2015